Zootiere als Futtertiere

Warum wurde der Kudu-Bock verfüttert?

Die Situation, dass ein Zootier wie der Kudu-Bock den Tigern und Löwen im Zoo Heidelberg als Futter dargeboten wird, wirft bei manchen Besuchern des Zoo Heidelberg grundlegende Fragen auf.  Nachdem sich der Zoo Heidelberg schweren Herzens entschlossen hat, die Kudu-Haltung aufzugeben, um Zebras und Blessböcken eine bessere Haltung zu ermöglichen, waren weitere Entscheidungen notwendig:

Der Zoo hat das Zuchtprogramm für Große Kudus kontaktiert und gebeten, für alle Kudus neue Halter zu empfehlen. Aufgabe des Zuchtbuchs ist es, die Transfers der Tiere zu koordinieren und zu entscheiden, welches Tier in einem anderen Zoo einen Platz in einer Zuchtgruppe finden kann. Nur so kann die genetische Vielfalt der Kudus in den Zoos erhalten werden. Die Kudu-Weibchen fanden ein neues Zuhause in anderen Zoos in Deutschland, Frankreich und der Slowakei. Für den Kudu-Bock ließ sich leider kein neuer Halter finden. Antilopenböcke können im Gegensatz zu Weibchen nicht in bestehende Herden, die bereits von einem Bock geführt werden, integriert werden. Ebenso sollte der Heidelberger Kudu-Bock keine eigene Zuchtgruppe mehr führen, da er in der Vergangenheit bereits seine Gene durch mehrere Nachkommen weitergegeben hatte. Würde er anderswo weiter zur Zucht eingesetzt würde er mit Tieren züchten, die mit ihm verwandt wären. Inzucht wollen wir in den Zoos aber vermeiden. Eine einzelne Haltung des Bocks kam ebenfalls nicht in Frage, denn Kudus leben in der Gemeinschaft mit Artgenossen.

In Abstimmung mit allen Verantwortlichen seitens Zoo und Zuchtbuch wurde die schwere Entscheidung getroffen, den Kudu-Bock zu töten und als Futtertier an die Löwen und Tiger zu verfüttern. Die Tötung erfolgte auf eine möglichst stressfreie Art und Weise: Das Tier wurde in seinem gewohnten Umfeld mit einem gezielten Schuss getötet. Ohne Vorahnung in seinem ganz normalen Tagesablauf plötzlich durch einen Kugelschuss zu sterben, ist die am wenigsten belastende Todesart für Wildtiere.

Warum verfüttert der Zoo Zootiere an andere Zootiere?

Die Beschaffung von qualitativ hochwertigem Futter – egal ob Grünfutter, Obst, Gemüse, Fleisch – ist ein zentrales Thema in der täglichen Arbeit eines Zoos. Fleisch bezieht der Zoo größtenteils in tiefgekühlter Form, wie beispielsweise Rinder- oder Pferdehälften. Zusätzlich können, sofern möglich, eigene Zootiere verfüttert werden. Die Tötung erfolgt in allen Fällen fachgerecht und stressfrei. Unter diesen zooeigenen Futtertieren können sowohl Nutztiere, wie Ziegen oder Kaninchen zu finden sein, als auch andere Zootiere, wie Stachelschweine oder Antilopen. Ein Kudu ist für einen Löwen genauso ein Futtertier, wie für den Menschen Kuh oder Schwein.

Zootiere zu töten, um sie an andere im Zoo lebende Tiere zu verfüttern, fällt niemals leicht. Die Entscheidung, dass ein Zootier zum Futtertier wird, wird immer gut überlegt sein. Trotz vieler Emotionen, welches das Thema auslöst, ist dieses Vorgehen inzwischen Realität in vielen Zoos – auch im Zoo Heidelberg. Es gibt gute Gründe, die dafürsprechen:

  • Das zooeigene Fleisch ist für die Raubtiere das beste Fleisch, das sie qualitativ bekommen können: Dem Zoo ist ganz genau bekannt, wie die verfütterten Tiere gelebt haben, was sie selbst gefressen haben und wie der Gesundheitszustand des Tieres war.
  • Durch die Schlachtung der Tiere vor Ort, können sie im Ganzen und unmittelbar nach dem Tod verfüttert werden. Wertvolle Inhaltstoffe aus Knochen, Gewebe und Fell bleiben erhalten. Zugekauftes Futter, das aus der Tiefkühlung kommt, bietet dies nicht. Die Nährstoffe müssen von den Tierpflegern in Form von z. B. Pulver ergänzt werden. Werden die Zootiere im Ganzen verfüttert, gestaltet sich das Fressen für die Raubtiere deutlich anspruchsvoller und zeitintensiver, was für Abwechslung und neue Anregungen für die Raubtiere sorgt. Sie müssen sich geschickt anstellen, um an das Fleisch zu kommen. All dies kommt der natürlichen Beute am nächsten.
  • Durch die Verfütterung von Zootieren kann den Tieren eine möglichst natürliche Lebensumgebung ermöglicht werden. Nachwuchs gehört für viele Tierarten zu einem intakten Sozialgefüge dazu, denn viele Gruppenverbände basieren auf der Interaktion von älteren und jüngeren Tieren. Auch wenn dies bedeuten kann, dass nicht für jedes Tier langfristig ein Platz in einem Zoo gefunden werden kann: Die Jungenaufzucht ist eine wichtige Beschäftigung für die Tiere, was ihr natürliches Verhalten fördert. Denn auch in der Natur werden neue Tiere innerhalb einer Gruppe geboren, andere sterben.

 

So beklemmend es für manche Besucher aussehen mag, wenn eine geschlachtete Ziege oder Antilope im Löwengehege liegt: Letztendlich zeigt sich hier der natürliche Zusammenhang von fressen und gefressen werden in einer Deutlichkeit, die für viele Menschen fremd und unbekannt ist. So gut wie alle Tierarten stehen innerhalb einer Nahrungskette in einer Beziehung zueinander. Ein Zusammenspiel, das auch in einem Zoo sichtbar werden sollte.